Von Dr. Manuel Ruoff
Vor 50 Jahren wurde mit Borgward der zeitweise drittgrößte Automobilkonzern der Bundesrepublik aufgelöst
Carl Friedrich Wilhelm Borgward war ein Selfmademan. Bis in die 50er Jahre hatte der 1890 im preußischen Altona bei Hamburg geborene Sohn eines Kohlehändlers einen Familienbetrieb aufgebaut, der schließlich nach Volkswagen und Opel der drittgrößte Automobilkonzern der Bundesrepublik wurde. Dieser bemerkenswerte Erfolg und sein überragendes Talent als Konstrukteur ließen Borgward ein Selbstvertrauen entwickeln, das ihn ungehemmt auf Wachstum setzen ließ – womit er sein Familienunternehmen überdehnte.
Immer neue Modell brachte Borgward auf den Markt. So auffallend wie die Anzahl der Modelle war auch die Zahl der Marken. Neben Borgward gab es Lloyd und Goliath beziehungsweise Hansa. Auf die systematische Nutzung von Synergien verzichtete Borgward großzügig, geschweige denn, dass er sich eines heute üblichen Baukastensystems bedient hätte. Rücklagen bilden war auch nicht sein Ding. „Geld gebe ich immer schon fünf Minuten, bevor ich es habe, aus“, war seine erklärte Devise. Diese unternehmerische Vorgehensweise setzt allerdings voraus, dass zum einen das Geld auch tatsächlich kommt, und zum anderen es jemanden gibt, der die fünf Minuten mit einem Kredit überbrückt. Das war Borgwards Verhängnis.
Zu einer unangenehmen Finanzierungslücke führte das im besten Jahr der Unternehmensgeschichte auf den Markt gebrachte Modell der unteren Mittelklasse „Arabella“, das die Lücke zwischen den Marken Lloyd und Borgward schließen sollte. Der Preis von 5250 D-Mark war kalkuliert auf der Basis von täglich 250 produzierten und verkauften Exemplaren. Diese Verkaufszahlen wurden jedoch nie erreicht. Der erste (und letzte) Lloyd mit einem Vierzylindermotor war voller Kinderkrankheiten. Die „Arabella“ galt als „Bananenversion“, die erst beim Kunden reift. Als besonderes Problem stellte sich heraus, dass der Wagen schnell von unten feucht wurde. „Aquabella“ wurde er deshalb auch genannt. Als Ursache wurde ermittelt, dass während des Testphase ein trockener Sommer geherrscht habe. Eine Rückrufaktion kostete nicht nur viel Geld, sondern beschädigte auch den Ruf des Fahrzeugs nachhaltig. Statt der geplanten Tagesproduktion von 250 Einheiten liefen lediglich 160 vom Band. Zur Kompensation der unerwartet geringen Stückzahl erhöhte Borgward gegen den Rat des Kaufmännischen Direktors von Lloyd den Preis um 240 D-Mark. Damit verlor die „Arabella“ jedoch zusätzlich an Konkurrenzfähigkeit im heiß umkämpften Markt gegen den 4760 D-Mark teuren DKW Junior und den nur 4760 D-Mark kostenden BMW 700. Das Ergebnis war, dass Borgward zu jeder „Arabella“ 587 D-Mark zuschießen musste.
Hinzu kamen ungünstige Rahmenbedingungen, die auch die Verkaufszahlen anderer Modelle des Borgward-Konzerns zurückgehen ließen. Zu jener Zeit zeigte sich, dass auch im Wirtschaftswunderland die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Die Wachstumszahlen gingen zurück. Zudem reagierte die Automobilindustrie in den USA, die ein wichtiger Abnehmer Borgwards waren, auf die Erfolge der ausländischen Kleinwagen mit den sogenannten „compact cars“ (Kompaktwagen).
In dieser Situation reichten bereits ein Jahr nach dem besten Geschäftsjahr die Lieferantenkredite nicht mehr. Borgward brauchte zumindest kurzfristig zweistellige Millionenbeträge fremden Geldes. Eine Hausbank hatte er nicht. Und eine Umwandlung des Familienunternehmens in eine Aktiengesellschaft scheute er, da er Herr im eigenen Haus bleiben und sich nicht von fremden Aktionären abhängig machen wollte. Borgward rief nach dem Staat in Form des Bundeslandes Bremen, dessen wichtigster Arbeitgeber er war.
Das damals reichste Land der Bundesrepublik war denn auch bereit einzuspringen. Allerdings gab es – wohlwollend formuliert – ein Missverständnis. Borgward glaubte, der Stadtstaat würde ihm helfen, bis im darauffolgenden Frühjahr 1961 wieder die Verkaufszahlen anziehen würden. Der Senat hingegen stellte sich auf den Standpunkt, dass er nur den Liquiditätsengpass habe überbrücken wollen, bis der finanzstarke US-Multi Ford den Borgward-Konzern übernehmen und mit frischem Geld versorgen würde. Als die tatsächlich laufenden Verkaufsverhandlungen zwischen Ford und Borgward im Januar 1961 scheiterten, gab der Senat den Bremer Unternehmer verloren und weigerte sich, für die noch ausstehende Zehn-Millionen-D-Mark-Kreditrate für den Februar des Jahres zu bürgen.
Doch nicht nur das. In einer Pressekonferenz erklärte der bremische Wirtschaftssenator am 30. Januar 1961 Borgward für zahlungsunfähig und kündigte die Gründung einer Auffanggesellschaft an, die den Konzern übernehmen solle. Borgward erfuhr diese geschäftsschädigende Stellungnahme aus den Medien. Derart sturmreif geschossen, willigte der mittlerweile 70-jährige Patriarch als Ergebnis einer ganztägigen Sitzung mit Senatsvertretern im „Haus des Reichs“, dem Sitz des bremischen Finanzsenators, am 4. Februar 1961 in die entschädigungslose Übernahme seines Konzerns durch den bremischen Staat ein.
Zum Sanierer wurde Johannes Semler bestellt. Im Nachhinein will es keiner gewesen sein, der den CSU-Politiker an die Spitze des Bremer Unternehmens geholt hat. Bremens Regierungschef Bürgermeister Wilhelm Kaisen bezeichnete Semler später als „Niete“. Diese Bezeichnung ist insoweit wohlwollend, als sie dem Betroffenen nur Unfähigkeit, nicht aber böse Absicht unterstellt. Dass diese böse Absicht nicht bestand, ist alles andere als selbstverständlich, war Semler doch Aufsichtsratsvorsitzender von BMW, einem der härtesten Konkurrenten von Borgward.
Semler erhielt für seinen Sanierungsversuch zwar 250000 D-Mark, nichtsdestoweniger scheiterte er. Am 28. Juli 1961 stellte er mit den Geschäftsführern von Borgward, Lloyd und Goliath Antrag auf Eröffnung von Vergleichsverfahren, auf die am 11. September beziehungsweise 25. November 1961 Anschlusskonkursverfahren für Borgward und Goliath sowie Lloyd folgten. Das Konkursverfahren für die als Auffanggesellschaft konzipierte Borgward AG wurde vor 50 Jahren, am 26. September 1961, eröffnet. Bemerkenswerterweise war die Konkursmasse derart werthaltig, dass alle anerkannten Ansprüche zu 100 Prozent beglichen werden konnten, was insbesondere von Borgwardfreunden betont wird und Dolchstoßtheorien Raum gibt.
Das Ende der Abwicklung seines Lebenswerkes hat Carl Friedrich Wilhelm Borgward nicht mehr erlebt. Er starb wenige Jahre nach seiner Entmachtung und dem Beginn der Zerschlagung seines kleinen Autoimperiums im Sommer des Jahres 1963.