Dieser Artikel erschien unter der Überschrift „Ein Großfürstentum wird unabhängig und Republik“ am 1. Dezember 2017 im Geschichtsteil der PAZ. Der Schluss wurde von der Autorin etwas verändert.
von Uta Buhr
Finnland, das „Land der tausend Seen“ im nördlichsten Teil Europas, erstreckt sich über eine Fläche von knapp 340.000 Quadratkilometern. Es ist somit etwas kleiner als die Bundesrepublik. Während Deutschland eine Bevölkerung von 80 Millionen aufweist, ist Finnland mit lediglich 5,5 Millionen Menschen äußerst dünn besiedelt. Das offizielle Idiom ist finnisch, gefolgt vom Schwedischen als anerkannte zweite Amtssprache.
Der 6. Dezember war von jeher ein besonderer Tag im Leben eines jeden Finnen. 2017 aber wird dieses Datum mit großem Pomp gefeiert, denn vor genau einhundert Jahren erlangte Finnland seine Unabhängigkeit. In den Wirren der Oktoberrevolution ergriff das Land die Gelegenheit beim Schopfe, sich vom zaristischen Russland loszusagen. Unter der Führung von Senatspräsident Evind Svinhufvud unterzeichnete das Parlament mit knapper Mehrheit von 100 zu 88 Stimmen die Unabhängigkeitserklärung, welche am 31. Dezember 1917 von der neuen sowjetrussischen Regierung anerkannt wurde. Noch heute ist die Bevölkerung Suomis – so der offizielle Name in der Landessprache – stolz auf diesen „Geniestreich.“ Jene, die sich in der Geschichte ihres Landes gut auskennen, räumen jedoch ein, dass die Zeit unter Zar Alexander II. (1818 -1881) eine in jeder Hinsicht recht glückliche für das Land gewesen sei. „Dieser russische Großfürst war uns Finnen wohl gesonnen. Unter ihm gediehen Architektur und schöne Künste“, bekennen sie. Im Zentrum des weitläufigen Senatsplatzes im Herzen Helsinkis erhebt sich Alexanders monumentales Denkmal. Rund um den Platz entstand später ein vom deutschen Architekten Carl Ludwig Engel entworfenes Ensemble klassizistischer Bauwerke. Ein viel bewundertes Gesamtkunstwerk, über dem der prachtvolle Dom thront.
Mit dem Tod Alexanders II., der 1881 einem Attentat zum Opfer fiel, veränderte sich das Leben der Finnen dramatisch. Sein Nachfolger, Zar Nikolas II., schürte 1899 mit seinem die Rechte der Finnen beschneidenden Februarmanifest den Volkszorn. Der passive Widerstand gegen das repressive Regime wuchs von Tag zu Tag, der 1905 in einen Generalstreik mündete und schließlich zur Wiederherstellung der finnischen Autonomie führte.
Das Land der „tausend Seen“ – nach exakter Zählung sind es 188.000 – blickt auf eine lange bewegte Geschichte zurück. Finnlands Ureinwohner, die Suomalaiset, wanderten in den ersten Jahrhunderten nach Christus in das heutige Staatsgebiet ein. Die schwedische Herrschaft begann im 12. Jahrhundert. In drei Kreuzzügen, der letzte im Jahr 1293, eroberten die Nachbarn weite Teile des Landes. 1362 wurde Finnland schwedische Provinz. Im frühen 18. Jahrhundert endete im „Nordischen Krieg“ Schwedens Vormachtherrschaft. Während die schwedischen Truppen in Mitteleuropa gebunden waren, nutzte Russland die Gunst der Stunde und besetzte zwischen 1713 bis 1721 Finnland. Turbulente Zeiten folgten. Der als „Kleiner Unfrieden“ in die Geschichtsbücher eingegangene erneute Konflikt mit Russland endete im Frieden von Turku, der alten Hauptstadt Finnlands. Die Schweden mussten weitere Regionen Südostfinnlands an das Zarenreich abtreten. 1809 fiel Zar Alexander I. in Finnland ein. Der Frieden von Hamina besiegelte Schwedens Herrschaft über Finnland. Finnland und die Alandinseln gingen an das russische Großfürstentum. Historiker sprechen von der „Geburtsstunde der finnischen Nation.“ Die Nähe Turkus zu Schweden veranlasste den Zar, nach einer neuen Hauptstadt Ausschau zu halten. Die Wahl fiel auf Helsinki, das sich schnell zu einer dynamischen Metropole entwickelte. Die einstige Nähe zu Russland ist auch heute noch unverkennbar. Die auf einem Hügel in der Nähe des Hafens aus rotem Backstein erbaute Uspenski Kathedrale und das Alte Russische Garnisonstheater sind Relikte aus der Zarenzeit.
Nachdem Finnland 1917 endlich seine Unabhängigkeit erreicht hatte, trat der linksradikale Flügel der Sozialdemokratischen Partei für eine Revolution nach russischem Vorbild ein. In einem Bürgerkrieg bekämpften sich „Rote“ und „Weiße“ – letztere vom Deutschen Reich unterstützte Regierungstruppen, die unter Marschall Carl Gustav Mannerheim den Sieg davontrugen. Ein deutscher Prinz – Karl von Hessen – wurde 1918/19 zum König von Finnland gewählt, lehnte den Thron jedoch ab.
Zwischen den Weltkriegen erlebte Finnland eine Zeit des Friedens. 1922 sprach der Völkerbund dem Land die zuvor von Sowjetrussland annektierten Alandinseln wieder zu. Dann aber trat der „russische Bär“ erneut auf den Plan und stellte Gebietsansprüche. Dieser Konflikt wurde 1939 bis 40 im Finnisch-Sowjetischen Winterkrieg ausgetragen, Finnland verlor in der Folge Teile Kareliens und den Westen der Fischerhalbinsel.
Der Flirt mit dem Deutschen Reich während des Zweiten Weltkrieges führte Finnland an den Abgrund. Die einst gegen die Sowjetunion verbündeten deutschen Truppen wurden von den Finnen im Lapplandkrieg vertrieben.
Die Sowjetunion diktierte von Stund’ an die Regeln. „Der Spiegel“ kommentierte in seiner Ausgabe vom 25. Januar 1947 unter der Schlagzeile „Finnlands Verhängnis“ die große Bitterkeit der Finnen angesichts der für den 10 Februar geplanten Unterzeichnung des Friedensvertrages. Ihr Staatsgebiet würde sich nach zwei verlorenen Kriegen gegen eine Großmacht innerhalb eines Jahrzehnts auf die Größe Italiens und die Bevölkerungszahl Londons reduzieren. Trotz ihrer Niederlage wollten die Finnen jedoch nicht die Inhaftierung ihres von den Sowjets als Kriegsverbrecher verurteilten ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Väinö Tanner hinnehmen. Sie verlangten seine sofortige Freilassung. Diese Forderung wurde von der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass als „russlandfeindliche Verleumdungen faschistisch gesinnter Professoren in Turku“ gegeißelt.
Tempi passati. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erholte sich Finnland relativ schnell und stieg zu einer weltweit geachteten Nation auf. Bereits 1952 richtete es eine bis ins Detail durchorganisierte Olympiade aus. Eine Sportsnation als Gastgeberin. Die Älteren erinnerten sich noch lebhaft an einen der größten Athleten aller Zeiten, Paavo Nurmi, der zwischen 1920 und 1928 insgesamt neun Goldmedaillen im Mittel- und Langstreckenlauf abräumte.
Heute gilt Finnland als High-Tech und Designer-Land. Wer kann den ebenso eleganten wie funktionalen Entwürfen finnischer Designer widerstehen – seien sie aus Glas, Holz oder Stahl? Als Reiseland ist Suomi immer noch ein Geheimtipp, obwohl die herrlichen Naturschutzgebiete zu vielen Sportarten wie Wandern, Rad- und Kanufahren sowie im Winter zum Skilaufen einladen.
Und sogar im Tango haben die Finnen den Argentiniern inzwischen den Rang abgelaufen. Roman Schatz, jener Deutsche, der bereits gefühlte Ewigkeiten in Finnland lebt und sogar Gedichte in diesem unaussprechlichen Idiom verfasst, bringt dem deutschen Leser in seinem humorvoll-ironischen Buch „Gebrauchsanweisungen für Finnland“ die finnische Mentalität sehr nahe. Es ist all jenen empfohlen, die die Jubelfeiern am 6. Dezember miterleben wollen. Na dann, onnittelut sata vuotta vanha, Suomi – herzlichen Glückwunsch zum Hundertjährigen, Finnland!