Vorab ein Warnhinweis für alle Besucher dieses Südstaaten Dramas: Das Stück ist durchsetzt mit toxischer Männlichkeit, denn alle vier Protagonisten sind maskulinen Geschlechts. Keine einzige Frau spielt mit. Ein echtes No Go für Feministen*Innen, die diesen Namen auch verdienen. Besonders schockierend: Das Drama enthält Vokabeln, die weitab der politischen Korrektheit angesiedelt sind. Da ist dieses „N“-Wort, das kein anständiger Mensch in den Mund zu nehmen wagt. Es sei denn, er ist auf Krawall aus. Sie ahnen es bereits. Es handelt sich um den diskriminierenden Begriff „Negro“, der hier sogar im Plural benutzt wird. Denn gleich mehrere schwarze Sklaven sind in den Wirren des 1861 gerade begonnenen amerikanischen Bürgerkrieges ihren Besitzern entkommen.
Und mit diesem augenzwinkernden Einstieg befinden wir uns auch schon mitten in der Handlung von „Ben Butler.“
Ein General in Gewissensnöten
Wir treffen Major General Benjamin Butler in seinem Quartier in Fort Monroe im Bundesstaat Virginia an. Ein gestandener Mann im besten Alter, gekleidet in die goldbetresste königsblaue Uniform der Nordstaaten Armee. Eine Büste des „Schwans von Stratford“ William Shakespeare auf einem Bücherbord weist darauf hin, dass Butler kein dumpfer Haudegen, sondern ein gebildeter Mann ist. Ein Telegramm informiert ihn darüber, dass Virginia sich gerade auf die Seite der Südstaaten geschlagen hat, als sein Adjutant Lieutenant Kelly den Raum betritt. Drei schwarze Sklaven haben das Weite gesucht und begehren Asyl im Fort. Sie haben die Rechnung ohne ihre Besitzer gemacht, die jetzt ihr „Eigentum“ zurückfordern. Der liberal gesinnte Ben Butler befindet sich in einer äußerst prekären Lage. Was soll er tun. Auf der einen Seite sträubt sich sein Gewissen, die Schwarzen womöglich dem Tod auszuliefern, während andererseits das Gesetz von ihm die Rückgabe dieser Menschen an ihre Besitzer verlangt.
„Verhandlungen“ zwischen einem General und einem Sklaven
Die ganze Angelegenheit wird dadurch erschwert, dass einer der entlaufenen Sklaven, ein gewisser Shepard Mallory, die Stirn hat, mit dem General sprechen zu wollen. Butler willigt schließlich ein, den sehr selbstbewusst auftretenden jungen Mann zu empfangen. Er lässt ihm seine Ketten abnehmen und bietet ihm sogar ein Glas Sherry an, das Mallory jedoch nicht goutiert. Butler erklärt ihm, dass er ihm aus rechtlichen Gründen kein Asyl im Fort gewähren kann. Da er von Haus aus Anwalt ist, kennt er das Gesetz. Mallory kontert, ein Jurist könne das Gesetz zu seinen Gunsten „drehen“ und ihm Asyl gewähren. „Das ist es doch, was ihr Anwälte tut,“ fügt er frech hinzu. Butler ist entsetzt. Denn ein Winkeladvokat, der das Gesetz je nach Gusto verbiegt, ist er nicht. Die Intelligenz des Sklaven, der offenbar lesen und schreiben kann, erstaunt ihn ebenfalls. Die Sklavenhalter setzten doch alles daran, ihr „Eigentum“ in Unwissenheit zu belassen. Mallory will das Argument Butlers nicht gelten lassen, sondern beginnt zu randalieren und mit der Faust auf den Schreibtisch des Generals zu schlagen. Das ruft den braven Kelly auf den Plan, der Mallory mit seiner Pistole bedroht. Butler entschärft die Situation. Er schickt Kelly hinaus, der Mallory fragt, ob alle Neger so sind wie er. Nein, er sei einzigartig, erklärt dieser, und „keiner mag mich.“ Er zieht sein Hemd aus und zeigt seinen von zahlreichen Narben entstellten Rücken. Es stellt sich heraus, dass Mallory und die zwei anderen entlaufenen Sklaven nicht etwa Baumwolle gepflanzt haben, sondern zum Bau von militärischen Anlagen herangezogen wurden. Er und seine Kameraden bieten Butler an, dieselbe Arbeit für die Unionstruppen zu verrichten, um diesen zum Sieg über die Konföderierten behilflich zu ein. Butler sitzt in der Falle. Er möchte Mallory gern helfen, ist jedoch nicht bereit, das Recht zu brechen. Ist es nicht besser, den jungen Mann in Richtung Norden entkommen zu lassen. Mallory ist gewieft und wird seinen Weg schon finden. Aber Mallory lehnt stur ab und bleibt.
Besuch von der gegnerischen Seite
Das Unheil naht in der Person des konföderierten Generals Cary, der Butler am nächsten Morgen seine Aufwartung macht Cary ist ein eitler Gockel in der grauen, mit Goldfransen und Schärpe dekorierten Uniform der Südstaatler – eine Karikatur seiner selbst. In näselndem Tonfall fordert er ohne Umschweife die Rückgabe der drei Sklaven. Das Angebot, ein Glas Sherry mit Butler zu trinken, lehnt er ab. Butler ist verärgert über Carys Arroganz und herablassende Art. Der besteht auf der Rückgabe der Sklaven, die legitimes Eigentum ihrer Besitzer sind. Doch Butler widerspricht, weil diese drei Männer für den Bau militärischer Befestigungsanlagen auf konföderiertem Gebiet eingesetzt wurden. Sie sind daher im juristischen Sinne „Contraband of War“ – also eine Art „Kriegs-Schmuggelware“ – ergo Kriegsbeute. Somit hat Butler das Recht, die Sklaven zu beschlagnahmen wie beispielsweise Kanonen oder anderes Kriegsgerät, das ihm in die Hände gefallen wäre. Ein genialer Schachzug! Weitere Verhandlungen laufen ins Leere.
Freiheit für die Sklaven mit Auflagen
Ist Mallory nun ein freier Mann? Nein, er ist „Contraband“ – Kriegsbeute – und kann sich bewähren, indem er das gleiche tut, was er bislang für die konföderierte Armee getan hat. Er soll auch weiter Befestigungswälle bauen. Diesmal allerdings für die Armee der Gegenseite. Dieses Angebot scheint akzeptabel. Obgleich Butler insistiert, das Wort „Contraband“ dürfe auf keinen Fall die Runde machen, ist es bereits in aller Munde. Neben Mallorys Frau Fanny reklamieren weitere acht entlaufene Sklaven den Status „Contraband“ für sich. Hochstimmung herrscht in Butlers Büro. Drei Gläser werden randvoll mit Sherry gefüllt. Butler, Kelly and Mallory prosten sich zu. Mallory bringt einen Toast aus. „Auf Contraband,“ ruft er ausgelassen. Und damit ist die leidige Angelegenheit vom Tisch. Prost!
Mit „Ben Butler“ liefert Richard Strand eine Tragikomödie, die trotz aller Brisanz mit vielen komischen, zuweilen skurrilen Szenen und Dialogen gewürzt ist. Besonders beeindruckend ist der verbale Schlagabtausch auf Augenhöhe zwischen Butler und Mallory. Dieses Stück, das eines der abstoßendsten Kapitel der amerikanischen Geschichte zum Inhalt hat, die Sklaverei, erweist sich als durch und durch humanes Narrativ. Narrativ insofern, als nicht gesichert ist, wieviel Wahres wirklich in der Geschichte um Ben Butler und sein humanitäres Handeln steckt. Fest steht, dass der Konflikt zwischen Yankees und Südstaatlern nicht zuletzt der Befreiung der Sklaven diente, die einst aus Afrika importiert wurden, um auf den Baumwollfeldern unter menschenunwürdigen Bedingungen zu schuften. Auch die Indigopfanzen, die den begehrten blauen Farbstoff lieferten, trugen in erheblichem Maße zum Reichtum der Plantagenbesitzer bei. Jegliche Romantik, die wir aus verschiedenen Südstaaten-Romanen kennen – u.a. „Vom Winde verweht“ und „Tiefer Süden“ – ist fehl am Platze. Wenn auch nicht wenige Pflanzer die Fürsorgepflicht zugunsten ihrer Schutzbefohlenen – sprich Sklaven – durchaus ernst nahmen, sie zugleich aber wie unmündige Kinder behandelten, so wurde das Gros von ihnen nicht nur ausgebeutet, sondern häufig auch brutal misshandelt. In „Ben Butler“ begegnen wir in Shepard Mallory einem Sklaven, der intelligent und wissbegierig ist und sich mit seinem Schicksal als Underdog nicht abfinden will. Er ist aufmüpfig, sogar dreist und respektlos Ben Butler gegenüber, der jedoch die Größe besitzt, ihm dies nicht sonderlich übel zu nehmen. Er erweist dem Schwarzen sogar die Ehre, ihn stets mit „Mr. Mallory“ anzureden statt irgendwelche diskriminierenden Begriffe zu benutzen. Mallory ist sogar alphabetisiert. Lesen und schreiben zu können war den meisten schwarzen Sklaven sogar unter Androhung drastischer Strafen strikt verboten. Denn Wissen ist Macht. Und gebildete Menschen sind in der Lage, sich mit Argumenten zu wehren. Das beweist Mallory mit seiner Renitenz gegen jedwede Art von Bevormundung und mit seiner Schlagfertigkeit, als er dem Anwalt Ben Butler entgegenhält, er sei schließlich nicht Alexander der Große.
„Ben Butler“ ist ein anrührendes Stück, in dem sich hoch dramatische und mit viel Witz gewürzte Szenen die Waage halten.
Die Auswahl der Protagonisten verdient höchstes Lob. Jonny Magnanti, der fast schon zum Inventar des English Theatre zählt, demonstriert erneut seine schauspielerische Vielseitigkeit. Dieser Mime ist in allen Sätteln gerecht. Diesmal glänzt er in der Rolle des Ben Butler, dem man trotz aller Härte eines mit allen Wassern gewaschenen Militärs seine zutiefst menschliche Seite abnimmt.
Lieutenant Kelly (Cameron Barclay) verkörpert den strammen befehlsgewohnten Adjutanten bis ins Detail, während Hayden Mampasi mit unwiderstehlichem Charme in die Rolle des aufmüpfigen Shepard Mallory schlüpft. Schließlich, doch nicht zuletzt betritt Will Middleton die Bühne. Besser als er kann man den arroganten selbstgerechten Herrenmenschen Cary nicht persiflieren. Für den „Gentleman Farmer“, im Sezessionskrieg einer der „Helden in Grau“, ist das Leben eines Schwarzen weniger wert als das eines Hofhundes. Was aus dieser Spezies wurde, zeigte der Ausgang des Bürgerkrieges 1865 in aller Deutlichkeit. Yankee Doodle!
Ein inspirierender Theaterabend. Dank an alle Mitwirkenden, besonders an Direktor Clifford Dean, der das vierblätterige Kleeblatt auf der Bühne professionell begleitete.
Über den amerikanischen Autor Richard Strand wissen wir wenig. Nur soviel: Er hat sich eines brisanten historischen Stoffs aus der Geschichte der seinerzeit noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika angenommen und diesen in ein grandioses Theaterstück umgesetzt. Übrigens, Major General Benjamin Butler ist keine fiktive Figur. Er hat wirklich existiert und offensichtlich mit seinem mutigen Handeln zur Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten mit beigetragen. Chapeau!
„Ben Butler“ läuft bis einschließlich 4. November 2023. Tickets unter der Telefon-Nummer 040-227 70 89 oder online unter www.english.theatre.de
Nächste Premiere: „The Hound of Baskervilles” von Arthur Conan Doyle, am 20. November 2023
Fotos: Stefan Kock