O schaurig ist’s, über’s Moor zu gehn, wenn es wimmelt vom Heiderauche. Sich wie Phantome die Dünste dreh’n. Und die Ranke häkelt am Strauche. Unter jedem Tritte ein Quellchen springt, wenn’s aus der Spalte zischt und singt. O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, wenn das Röhricht knistert im Hauche.
Der Hund von Baskerville im neuen Gewand
Das Szenario in Sir Arthur Conan Doyles Roman „Der Hund von Baskerville“ erinnert an jene düstere Moorlandschaft, die Annette von Droste-Hülshoff so eindringlich in ihrer berühmten Ballade „Der Knabe im Moor“ beschreibt. Im englischen Dartmoor geschehen Morde, die einem das Blut in den Adern erstarren lassen. Wer kennt die „Mutter“ aller Sherlock Holmes-Geschichten nicht? Wer hat sie nicht bereits unzählige Male konsumiert? Aufgemerkt! Jetzt erscheint der Stoff entstaubt in völlig neuem Gewand auf den Brettern der Mundsburger Bühne, diesmal als Parodie vom Allerfeinsten.
Lieber Zuschauer, vergessen Sie das gute Dutzend Filme über jene furchterregende Bestie, die sich in den tückischen Sümpfen von Dartmoor herumtrieb und so manches Menschenopfer forderte. Denn diesmal überrascht Sie das English Theatre mit einer völlig neuen Version des Schauermärchens. Der Thriller von Arthur Conan Doyle gerät zu einer das Zwerchfell erschütternden Farce, getragen von nur drei Schauspielern, die in Windeseile in achtzehn verschiedene Rollen schlüpfen.
Zwei schlitzohrige Autoren – Steven Canny und John Nicholson – wagten sich an diesen im frühen 20. Jahrhundert als Fortsetzungsroman veröffentlichten Stoff heran und zauberten daraus eine tief schwarze Krimi-Komödie mit reichlich Blödelpotential. Fast schon ein Wunder, dass Monty Python sich dieses Klassikers noch nicht angenommen hat. Vom hochdramatischen Conan’schen Original ist nicht viel mehr als die Rahmenhandlung übrig geblieben, die von den Autoren mit einer gehörigen Dosis Klamauk garniert wurde.
Eine Freveltat bleibt selten ungesühnt
Auf der Adelsfamilie der Baskervilles ruht ein jahrhundertealter Fluch, seit einer ihrer Altvorderen, Sir Hugo Baskerville, ein Bauernmädchen entführte, das auf der Flucht vor seinem Peiniger den Tod fand. Die Rache für diesen Frevel folgte auf dem Fuße. Freunde fanden Hugo zerfetzt von einem dämonischen Jagdhund im Moor. Seit dies geschah, fielen verschiedene Personen aus Dartmoor der Bestie zum Opfer, die keiner bisher mit eigenen Augen gesehen hatte. Nachdem das Monster jüngst wieder zuschlug und Sir Charles Baskerville meuchelte, erhalten Meisterdetektiv Sherlock Holmes und Dr. Watson Besuch vom Landarzt Dr. Mortimer, der die beiden um Aufklärung des mysteriösen Verbrechens ersucht. Der Arzt vermutet, dass der Tod von Sir Charles im Zusammenhang mit dem Fluch und dem Rächer in Gestalt eines riesigen Hundes steht: „Aber da war noch etwas. Ein kleines Stück von der Leiche entfernt sah ich ganz deutlich noch weitere Spuren.“ „Fußspuren?“, fragte Holmes gespannt. Dr. Mortimer sah uns eine Weile schweigend an. Dann antwortete er leise, fast flüsternd: „Es waren die Spuren eines riesengroßen Hundes.“
Zwei Spürnasen auf der Pirsch
Als der junge Sir Henry Baskerville, Erbe von Titel und Besitz, aus Kanada anreist, bangt der Arzt um dessen Leben. Es muss um jeden Preis verhindert werden, dass der Höllenhund in Sir Henry sein neues Opfer sucht. Natürlich können Spürnase Sherlock Holmes und sein Sidekick Dr. Watson sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihr kriminalistisches Talent erneut unter Beweis zu stellen. Halali! Die Jagd auf das Untier, das sich in den Sümpfen Dartmoors versteckt, muss zur Strecke gebracht werden, koste es, was es wolle.
Auf der Bühne geht es turbulent zu. Die drei Mimen Katherine Rodden, Charlie Tripp und Benjamin Press würden wegen ihrer darstellerischen Exzellenz sowie zahlreicher akrobatischer und clownesker Einlagen auch jedem Zirkus zur Ehre gereichen. Allein die Projektion der düsteren viktorianischen Baskerville Hall im Hintergrund der Bühne erinnert an die Aufgabe des Detektiv-Duos, den Letzten des alten Adelsgeschlechts derer von Baskerville am Leben zu erhalten. Während der Sturm in den Kronen der Bäume tobt und die unsichtbare Bestie schaurig im Dickicht heult, tasten Holmes und Watson sich vorsichtig auf dem unsicheren morastigen Boden voran. Bevor sie endlich dem Geheimnis des mörderischen Monsters auf die Spur kommen, wabert der immer dichter werdende Nebel über dem Moor. Man kann kaum die Hand vor Augen erkennen. Zu allem Überfluss ist ein Sträfling aus der berüchtigten Haftanstalt von Dartmoor entkommen. Auf der Suche nach Nahrung schleicht er um das Herrenhaus herum und sorgt für weitere Verwirrung. Steht er mit der Bestie im Bunde? Gibt sich die unsichtbare Hauptdarstellerin des Stückes zum Schluss zu erkennen? Das, lieber Zuschauer, wird natürlich nicht verraten. Lassen Sie sich überraschen. Der Countdown läuft.
Zwei schlitzohrige Autoren frischen eine alte Klamotte auf
Werktreue kann man den beiden Autoren von der britischen Theatertruppe „Peepolykus“ nicht unterstellen. Die war auch gar nicht beabsichtigt. Das Duo war angetreten, den Staub aus diesem allseits bekannten Stoff zu klopfen. Herausgekommen ist eine witzig-ironische Parodie, die mit wohltuender Frische überzeugt. Auch der heutigen Gendergerechtigkeit wurde Tribut gezollt. Aus der großartigen Katherine Rodden wird ein Gentleman im eleganten Anzug mit Weste und Krawatte. Charlie Tripp verkörpert unter anderen sämtliche Frauenrollen. Ball paradox – zum Schreien komisch! Benjamin Press, der Dritte im Bunde, brilliert in der Rolle des leicht schusseligen Dr. Watson. Ganz großes Theater!
Bleibt nur noch zu sagen: Zwei Stunden lang selten so gelacht. In einer nicht nur aus meteorologischer Sicht trüben Zeit wird Humor zur Pflicht! Das Publikum dankte Regisseur Paul Glaser und seinen fabelhaften Darstellern mit viel Applaus für diesen gelungenen Theaterabend. Bitte mehr davon!
„The Hound oft the Baskervilles” läuft bis einschließlich 20. Januar 2024. Tickets unter der Telefon-Nummer 040 – 227 70 89 oder online unter www.englishtheatre.de
Nächste Premiere: „Lobby Hero“ von Kenneth Lonergan, am 5. Februar 2024
Fotos: Stefan Kock/ETH