Weimars Nebeneinander von Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot war bei aller berechtigten Kritik im Detail besser als sein Ruf
Von Manuel Ruoff
Landauf landab heißt es, daß der Kompromiß dem Wesen der Demokratie eigen sei und daß bei einem fairen Kompromiß beide Seiten zurückstecken müßten. Bei der Beurteilung, um nicht zu sagen: Verurteilung, des Weimarer Flaggenkompromisses scheinen diese Kriterien jedoch nicht zu gelten. Natürlich war die Spaltung des deutschen Volkes in Anhänger von Schwarz-Weiß-Rot und Schwarz-Rot-Gold unselig – so wie es für die Deutschen auch ein Dilemma ist, daß sie in Protestanten und Katholiken gespalten sind. Vor diesem Hintergrund käme jedoch kein pluralistischer Demokrat auf die Idee zu fordern, daß die Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland einheitlich protestantisch oder katholisch zu sein hätten. Auf die Idee kämen wohl nur kompromißlose Anhänger der protestantischen oder katholischen Lehre. Kompromißlose Anhänger von Schwarz-Rot-Gold und Schwarz-Weiß-Rot sind es denn auch, welche das veröffentlichte Bild vom Weimarer Flaggenkompromiß in der Weimarer Zeit prägten und bis heute prägen. Beide Seiten sind sich dabei nicht nur in der Verurteilung des Kompromisses einig, sondern auch in ihrem wohlfeilen Rat, daß eine Einheitsflagge die bessere Alternative gewesen wäre. Nur in der Frage, ob diese Einheitsflagge nun schwarzrotgold oder schwarzweißrot sein sollte beziehungsweise hätte sein sollen, unterscheiden sich diese Flaggenkompromiß-Kritiker bemerkenswerterweise. Daß bei einer solchen schwarzrotgoldenen oder schwarzweißroten Einheitsflagge ein Großteil des Volkes ausgegrenzt und dem ohnehin labilen Staate entfremdet worden wäre, bleibt dabei unerörtert.
Dabei hätte eine Einheitsflagge nicht automatisch ausgrenzend wirken müssen, wenn sie denn selber ein Kompromiß gewesen wäre. Möglicherweise hätte Schwarz-Weiß-Rot-Gold eine derartige Kompromißlösung sein können. Ein Vierfarb wäre in dem von zwei- und dreifarbigen Flaggen geprägten Europa zwar ungewöhnlich gewesen, doch hätte er einen nicht unwichtigen Vorteil besessen. Sowohl die Anhänger von Schwarz-Rot-Gold als auch jene von Schwarz-Weiß-Rot hätten in ihm ihre Farben wiedergefunden. Im Idealfalle hätten die Schwarz-Rot-Goldenen in dem Vierfarb ihre Trikolore mit einem weißen Streifen zwischen dem schwarzen und dem roten und die Schwarz-Weiß-Roten in ihm ihren Dreifarb mit einem zusätzlichen goldenen Streifen unter dem roten gesehen. Nebenbei hätte diese Farbkombination auch noch der von den damaligen Kritikern von Schwarz-Rot-Gold gerne ins Feld geführten heraldischen Regel entsprochen, daß Farben auf der einen Seite sowie die Metalle Silber (Weiß) und Gold (Gelb) auf der anderen sich abzuwechseln haben und nicht aneindergrenzen dürfen. Dieser heraldischen Regel entsprach auch die von dem Schriftsteller und Historiker Manfred Eimer vorgeschlagene „alte Reichssturmfahne“, also der schwarze Adler auf goldenem Grund. Der Vorteil dieses Vorschlags bestand darin, daß sich die Deutschen gemeinhin in der Tradition des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation sahen und im Gegensatz zu ihren Farben ihr Wappentier nicht ernstlich in Frage stand. Der goldene Adler des Römischen Imperiums hatte in seiner Weiterentwicklung während des Mittelalters nach der Durchsetzung des Wappenschildes zum schwarzen Adler auf goldenem Grund nach den Kaisern des Heiligen Reiches sowohl dem Deutschland der Paulskirche als auch den Kaisern des Deutschen Reiches als Wappen gedient, von der Weimarer Republik ganz zu schweigen. Edwin Redslob schließlich, der als Reichskunstwart (so etwas gab es damals) qua Amt für die künstlerische Ausgestaltung der Staatsakte der Weimarer Republik zuständig war, schlug vor, mit einer rotgelb gevierten Flagge mit einer frakmentarischen Zeichnung des Eisernen Kreuzes zwischen Schwarz-Rot-Gold- und Schwarz-Weiß-Rot-Anhängern eine Brücke zu schlagen.
Die große Gefahr bei derartigen Kompromißflaggen bestand allerdings darin, daß sie als konstruiert, unhistorisch, willkürlich, traditionslos und daher blutleer sowohl von den Schwarz-Rot-Goldenen als auch von den Schwarz-Weiß-Roten abgelehnt werden konnten. Und so war es denn auch kein Zufall, sondern sprach auch für die Größe des Problems, daß die tatsächlich stattgefundene Suche nach einer Kompromißflagge erfolglos blieb. Es blieb beim Kompromiß aus schwarzrotgoldenen und schwarzweißroten Flaggen; und allzu undifferenzierten Kritikern hieran sollte es vielleicht zu denken geben, wer es war, der diesen Kompromiß gleichfalls ablehnte und ihn deshalb nach seiner „Machtergreifung“ durch den Reichspräsidenten beenden ließ.