
Tagung der Deutschen Haiku-Gesellschaft in Wiesbaden
von Maren Schönfeld
Bei meiner Abreise waren in Hamburg etwa 16 Grad, bei der Ankunft in Wiesbaden waren es 25 – und das sollte noch nicht alles gewesen sein. Pünktlich zu Tagungsbeginn am vergangenen Freitag brachte das Thermometer es auf über 30 Grad. Unversehens waren wir, die Mitglieder der Deutschen Haiku-Gesellschaft (DHG), nicht nur bei unserer Tagung, sondern auch im Hochsommer angekommen. Autorinnen und Autoren, die sich intensiv mit japanischer Dichtung befassen, reisten aus allen Ecken Deutschlands, aus Frankreich, der Schweiz und Österreich an, um sich wie alle zwei Jahre miteinander auszutauschen und der interessierten Öffentlichkeit einiges aus ihrer Arbeit zu präsentieren. Auf Einladung des Haiku-Kreises Wiesbaden fand die Tagung im „Nizza des Nordens“ statt und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten gleich zu Beginn Gelegenheit zu einem nun sommerlichen Ginko-Spaziergang durch den Kurpark oder einer Fahrt mit der THermine, einer kleinen Touristenbahn.
Am Samstagnachmittag konnten sich Besucher einmal selbst mit dem Haiku versuchen, denn es gab neben dem internen Programm Veranstaltungen für die Öffentlichkeit. In Workshops ging es um spezielle Themen der japanischen Formen, auch an Texten der Teilnehmer wurde gemeinsam gearbeitet. Abends waren die Mitglieder zu einem hessischen Buffet geladen.
Die DHG existiert seit 1988 und befasst sich mit verschiedenen Formen japanischer Lyrik von Haiku über Tanka bis zum Renku, aber auch mit den immer beliebter werdenden Formen Haibun und Haiga, ohne jedoch den Interessensmittelpunkt, das Haiku in traditioneller und moderner Form, aus den Augen zu verlieren. Den poetischen Charakter der japanischen Kurzform auf den hiesigen Kultur und Lebensraum zu übertragen ist eine besondere Herausforderung, der sich die Gesellschaft immer wieder neu stellt. Die DHG gibt die Vierteljahresschrift SOMMERGRAS heraus, die neben Fachartikeln auch aktuelle Lyrik in mehreren Sprachen veröffentlicht. Seit einiger Zeit bin ich im Redaktionsteam für diese Zeitschrift und staune immer wieder über die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der nur 10 bis 17 Silben umfassenden Kurzlyrik.
Nach Oldenburg in Niedersachsen und Ochtrup war dies die dritte der alle zwei Jahre stattfindenden Tagungen der Haiku-Gesellschaft, an der ich teilnahm. Einer der Höhepunkte war der Auftritt der japanischen Koto-Spielerin Miyoko Oshima. In dem sehr modernen Gebäude der Mauritius-Mediathek spielte sie das alte Traditionsinstrument, eine Art Zither, und sang dazu Lieder über den Regenpfeifer, die Kirschblüte und den Flaschenkürbis; dies im Rahmen der Lesung des Haiku-Kreises Wiesbaden am Samstagabend. Nach einer kurzen Phase des Einhörens war für mich diese Musik ein meditatives Erlebnis.
Neben solchen außergewöhnlichen Darbietungen ist es der Austausch untereinander, der beflügelt und inspiriert. Dabei geht es nicht nur um deutschsprachige Haiku, sondern auch um solche aus anderen Ländern und in anderen Sprachen. Mehrfach hat der Kalligrafie-Künstler Ion Codrescu aus Rumänien Haiku zu Haiga verarbeitet, in Ochtrup gab es dazu eine Ausstellung. Derzeit ist eine Publikation mit einem Haiga von jedem Mitglied der DHG, das eines eingereicht hat, in Arbeit. Ion Codrescu wird jedes Haiku kalligrafisch zu einem Haiga werden lassen, das Haiku wird daneben in Deutsch und Englisch abgedruckt werden.
Die Verbindungen zwischen Haiku-Schreibenden gehen quer durch die Welt und auch das ist das Spannende an den Tagungen. Ich lernte vor zwei Jahren in Ochtrup David G. Lanoue kennen, der in New Orleans lebt und 10.000 Haiku des traditionellen japanischen Dichters Issa (1763-1827) ins Englische übersetzt und ferner Romane über das Haikuschreiben verfasst hat. Im Hamburger Haiku-Verlag wurden die Romane auf Deutsch publiziert, dessen Inhaber ebenfalls wiederum Mitglieder der DHG sind.
Für mich als Lyrikerin ist das Haiku als am meisten verknappte Form sehr reizvoll. Grundsätzlich ist der Anteil des zurückgezogenen, auf sich selbst gestellten Arbeitens sehr groß im Schreiben. Umso mehr schätze ich diesen intensiven Austausch an einem Wochenende. Die Freude ist groß, Kolleginnen und Kollegen wiederzusehen und kennenzulernen.
Reich an Eindrücken und Inspirationen bin ich nach Hamburg zurückgekehrt und möchte diesen Bericht mit einem scherzhaften Dreizeiler schließen:
Nizza des Nordens
auf dem hessischen Buffet
Wiener Würstchen
Link zur DHG: http://www.d-h-g.org/
Workshop Japanische Dichtung zu Schatten und Licht am 20. Juni 2015 in Hamburg: http://www.vhs-hamburg.de/home/kurse/kursdetails-44?kid=244680